Warum der Wein politisch ist
Eine Einschätzung von Kössler&Ulbricht, Weinhalle Nürnberg, Text aus einem Anschreiben an die Kunden
Ich habe versucht, Kösslers Text zu kürzen, damit das Zitat nicht so lang wird, wie es nun hier steht. Aber es geht nicht, jedes Wort, das man herausnimmt, würde fehlen und die Ausgewogenheit des Beitrages wesentlich beeinträchtigen. Denn Martin Kössler hat jedes Wort bedacht, da ist nichts zuviel. Ich hoffe, dass er der Veröffentlichung und der damit erfolgten Multiplikation seines Schreibens nachträglich zustimmt, denn ich habe mich etwas vorgewagt.
Dann lesen Sie mal.
Wir erleben denkwürdige Zeiten. Während von Politik und Wirtschaft lautstark der Verlust eines »Wohlstandes« bejammert wird, der auf jahrzehntelanger rücksichts- und gedankenloser Ausbeutung von Mensch und Natur basiert, ist die Sicherung unseres wahren Wohlstandes - der als selbstverständlich angesehenen Lebensverhältnisse in Sachen Klima, Boden, Wasser und Luft - in der politischen wie ökonomischen Dringlichkeitsskala weit nach hinten gerutscht. Statt verständlich zu kommunizieren, was Politik und Bürgern an Umbrüchen und Herausforderungen in Zukunft bevorsteht (immerhin schwört jeder Politiker per Amtseid, uns zu dienen), um diese in solidarischem Verzicht, aber gemeinsamer Vision, angehen zu können, verbreiten Politik und Presse Panik über die Energieversorgung im Winter.
Politik moderiert nicht mehr. Sie dient ihrer Macht und schafft im Namen ihrer jeweiligen Wählerklientel kommentarlos Fakten. Und sie ist mit den mächtigen Lobbys der Wirtschaft eng verwoben. Dabei haben uns diese in ihrer Gier nach Rendite und Marktmacht die Probleme eingebrockt, für die wir jetzt so vielfältig zur Kasse gebeten werden. Die Krisen von heute liegen in den historischen Fehlern einer ganzen Generation von Managern begründet, die peinlich verschwiegen werden. Es wird der Geschichtsschreibung obliegen, sie zu entlarven und im Kontext der Geschichte zu notieren und zu analysieren.
Wir Bürger bleiben außen vor. Derweil wundert sich die Politik, warum der Sinn für den Gemeinsinn schwindet, einfache Antworten auf komplexe Fragen zunehmend Gehör finden und der Glaube an Funktion und Wirkung von politischen Entscheidungsträgern von Zweifeln zerfressen wird. Tatsächlich ziehen sich immer mehr Bürger gestresst und entmutigt in ihre Glaubens- und Meinungs-Blasen zurück. Eine Entwicklung, die Sorge bereitet, denn gerade in Zeiten gesellschaftlichen und ökonomischen Umbruchs wäre es nötig, mit Nachdruck von Politik und Wirtschaft mehr Transparenz in Information und programmatischer Vision einzufordern. So aber wird das Feld denjenigen Kräften überlassen, die es für sich zu nutzen wissen. Weil diese stark und gut organisiert sind, ist deren unseliges Tun nur zu entlarven, wenn man sich entsprechend aufmerksam und agil dagegen rüstet.
Am Wein läßt sich exemplarisch demonstrieren, wohin Desinteresse führen kann. Seit Jahrzehnten dominieren auch ihn die Lobbys der Agrochemie. Deren Einfluß ist aber weder unter Winzern noch im bundesdeutschen Weinhandel ein Thema. Stattdessen widmet sich die Weinbranche selbstgefällig geschmäcklerisch ihrem Geschäft. Auch sie läßt ihre Kunden informativ außen vor. Dabei sind die Herausforderungen, wie in der realen Politik, immens. Klimakrise, Boden- und Artenverlust erzwingen geradezu ein Umsteuern in der Landwirtschaftspolitik. Darüber wird aber weder geschrieben noch gesprochen.
Zwar versucht die EU gerade, ihre Mitgliedsländer auf die Herausforderungen der Zukunft durch halbierten Pestizideinsatz bis 2030 in der gesamten Landwirtschaft (also auch im Weinbau) einzustimmen, doch wehren sich diese, allen voran Deutschland, mit Händen und Füssen dagegen. Die sich »konservativ« nennenden Verbände in Landwirtschaft und Weinbau agieren damit einmal mehr zerstörerisch, statt im Sinne des Wortes Wert erhaltend zu denken und zu handeln.
Doch Klima- und Energiekrise machen vor dem Wein und dem Beharrungsvermögen seiner »konservativen« Branche nicht Halt. Die Weinindustrie - mit ihr die meisten konventionell wirtschaftenden Weinbaubetriebe - stößt an ungeahnte Grenzen. In ihren Weinbergen sinken die Erträge, weil Trockenheit und Agrarchemie ihre Böden nachhaltig zerstört haben, Reben und Trauben deshalb nicht mehr mit den nötigen Nährstoffen für eine natürliche Gärung versorgt werden und sie so gezwungen sind, über die zahlreichen Zusatzstoffe der modernen Kellerwirtschaft ihre Weine so zu korrigieren, damit sie noch verkaufsfähig sind. Das Ergebnis sind stilistisch banale, minimalste Geschmacksvorstellungen erfüllende alkoholhaltige Wirkungsgetränke. Sie stehen z. B. in den Selbstbedienungsregalen des deutschen Lebensmitteleinzelhandels und decken dort bereits 80% des bundesdeutschen Weinkonsums ab. Das geht nur über den Preis. Deshalb müssen diese Weine so billig wie möglich produziert werden. Doch jetzt laufen die Kosten davon. So sind Flaschen teuer und rar geworden, weil die Glasherstellung enormen Energieaufwand erfordert; die ersten Glashütten produzieren nur noch Standardformate; Papier für Etiketten und Kartons ist drastisch im Preis gestiegen, ebenso die Kosten für Korken und Logistik. Die Preisvorstellungen der Käufer aber sind eng gesetzt. Die Kostensteigerungen können kaum vollumfänglich weitergegeben werden, weil die Käufer dieser Flaschen keinerlei Vorstellung vom Wert ihres Inhaltes haben. Für sie zählt nur der Preis. Also wird draußen in den Rebflächen heftig mechanisiert und drinnen im Keller entsprechend »korrigiert«.
Kein Wunder also, wenn das professionelle Verkoster-Team des größten deutschen Branchen-Blattes kürzlich notieren mußte, daß immer mehr Weine aus den SB-Regalen des bundesdeutschen Lebensmitteleinzelhandels deutliche Schwächen zeigen. Und auch das Landesuntersuchungsamt (LUA) Rheinland-Pfalz stellt in seiner jüngst veröffentlichten Bilanz zur Weinüberwachung 2021 zahlreiche Verstöße fest. So musste jede elfte Probe beanstandet werden, meist wegen Kennzeichnungsfehlern, teilweise jedoch auch wegen schwerwiegenderer Verstöße. Illegale Aromatisierung bei heimischen wie Importweinen scheint zunehmend zum Problem zu werden, Über-Anreicherung zur Alkoholsteigerung, verbotene Anreicherung von Prädikatsweinen und Wässerung von Weinen zur Alkoholreduktion (und damit verbotener Mengensteigerung) wurden ebenso bemängelt. Immerhin wurden dieses Mal keine Grenzwertüberschreitungen bei Schwermetallen, Allergenen und Pestiziden festgestellt.
Nichtwissen und Desinteresse an Herstellung und Qualitätskriterien im Wein werden also rücksichtlos ausgenutzt, um »billig« noch billiger zu machen. Doch selbst solche seelenlosen Weine scheinen die von ihren Käufern erwarteten Klischees noch zu erfüllen. Wer den Wert nicht beurteilen kann, kann nur Preis oder Etikettendesign zum Kaufkriterium machen – und wird prompt systematisch betrogen. Dabei wäre der Unterschied zwischen Industrie und Handwerk auch ohne jedes Fachwissen mühelos zu schmecken und zu riechen – entsprechendes Interesse an den eigenen Sinnen und ein wenig Wissen um den Unterschied vorausgesetzt.

Nachbarn im Weinbau. Links konventionell, rechts biologisch
Ich möchte Kösslers Text nur bekräftigen. Kann auch jedem Weintrinker nur empfehlen, sich zu überlegen, wo er seinen Wein kauft. Es ist ja nicht so prickelnd wie ein Glas Sekt, in Kauf zu nehmen, Giftrückstände in sich aufzunehmen, auch wenn sie nach Aussage finanziell interessierter Kreise "unbedenklich" sind. Wer schützt denn den Konsumenten davor, von Lebensmittel zu Lebensmittel jeweils eine Portion unbedenklicher Grenzwerte, die sich im Körper potenzieren, zu sich zu nehmen
Mit Verlaub, ich halte das Verhalten dieser Erzeuger und der Politiker, die sie abschirmen, kriminell.
Heinz Elflein
29.10.2022