Nachstehenden Beitrag habe ich von Martin Kössler von der Weinhalle Nürnberg übernommen.

Wir waren wieder auf Sendung. Einmal im ZDF in der WISO-Dokumentation unter dem Titel
https://www.zdf.de/verbraucher/wiso/wein-mit-beigeschmack-die-tricks-der-wein-industrie-100.html
und in der in Bayern sehr populären Sendung »Quer« des Bayrischen Fernsehens: https://www.br.de/mediathek/video/reiner-wein-fraenkische-weinbauer-begehren-auf-av:6184536d296dd00009944139
Viele Zuschauer meldeten sich mit Fragen über Fragen; der Beweis, daß Wein viele Menschen interessiert, sie aber zu wenig über ihn und seine Produktion wissen. In den sozialen Medien schossen vor allem Winzer scharf, doch gingen ihre Schüsse ins Leere, weil wir nicht darauf reagierten, ihr Pulver war zu mager. Von offizieller Seite, den Verbänden, der Forschung und der Produktion, kam bis heute nichts. Unsere Argumente scheinen, von wissenschaftlicher Seite immer wieder durchleuchtet, offensichtlich nicht zu widerlegen.
Worum geht es?
Nicht alles, was wir zu sagen hatten, war in den Filmen zu sehen. Was vor allem damit zu tun hat, daß es uns auch und ganz besonders um den Einfluß der globalen Agrarchemie auf den Wein in seiner Gesamtheit geht. Dabei verdienen immer die Konzerne, die Lasten tragen immer die Natur und die Allgemeinheit. Die Gewinne werden privatisiert, die Kosten »demokratisiert«. Im Wein ist dies exemplarisch schmeckbar und damit transparent und verständlich zu machen.
Traditionell wurden in der Landwirtschaft stickstoffhaltige natürliche Dünger wie Gülle oder Mist ausgebracht. Als Justus von Liebig entdeckte, das mit dem chemischen Element Stickstoff deutlich höhere Erträge in der Landwirtschaft zu erwirtschaften sind, begann der Siegeszug des Mineraldüngers, der zunächst noch natürlichen Ursprungs war, nach 1910 aber durch BASF großindustriell synthetisch hergestellt wurde und damit beliebig verfügbar war.
Mit dem Aufkommen des globalen Einsatzes von Herbiziden in den 1950er Jahren wurde die Ausbringung von Kunstdünger notwendig und üblich, weil Herbizide die Bodenbiologie zerstören (die man bis dahin noch gar nicht kannte), wodurch mit der Zeit Physik und Struktur des Bodens, seine Morphologie, gestört werden, er verdichtet so, daß das Bodenwasser die im Boden enthaltenen Nährstoffe nicht mehr transportieren kann, wodurch die Chemie des Bodens zusammenbricht; die Böden beginnen langsam auszutrocknen, sie verdichten, künstliche Düngung wird nötig, um Ackerfrüchte, Obst und Gemüse wachsen zu lassen.
Diese unselige Allianz führte über die letzten 60 -70 Jahre weltweit zur kontinuierlichen Zerstörung der Bodengesundheit. Die Folgen sind überall sichtbar und sie sind katastrophal. Erosion durch Wasser und Wind sind ein existentielles Problem. Böden auf der ganzen Welt trocknen aus, verlieren organische Masse (die Zunahme um ein Prozent erhöht die Wasserspeicherkapazität pro Hektar um bis zu 90.000 Liter), sind nicht mehr in der Lage Wasser zu speichern, können damit keine Nährstoffe mehr transportieren, werden unfruchtbar. Ackerfrüchte, Obst und Gemüse haben durch den Verdünnungseffekt der Ertragssteigerung durch den Kunstdünger, aber auch durch die damit einhergehende Verarmung der Böden über die letzten 50 bis 100 Jahre, entscheidend an lebenswichtigen Spurenelementen, sekundären Pflanzenwirkstoffen und Nährstoffen verloren. Auch viele konventionell bewirtschaftete Acker- und Futterflächen sind so verarmt, daß man selbst in Milch und Fleisch alarmierende Abnahmen wichtiger Nährstoffe festgestellt hat. Nach offiziellen Angaben gehen durch derart falsche und intensive Nutzung übrigens jährlich rund 10 Mio. Hektar fruchtbaren Bodens verloren. In Deutschland sind es täglich 77 Hektar.
In der Landwirtschaft wechselt die Frucht jedes Jahr. Das erlaubt eine direkte Düngung. Wein ist dagegen eine Standkultur. Hier gehen die Prozesse sehr viel langsamer vonstatten und dem Boden kommt eine ganz andere Bedeutung zu.
Heute schmecken die allermeisten Weine der Welt klischeehaft und uniform »fruchtig«, weil sie nicht im Weinberg ihren Charakter erhalten, sondern im Keller. Der Weinberg liefert nur das Substrat, auf dem die Trauben wachsen. Diese Trauben vergären nach dem Keltern nicht auf natürliche Weise. Weil ihre Böden nicht lebendig sind, enthalten sie nicht genügend Nährstoffe, um die Gärhefen durchgehend ernähren zu können. Sie müssen mittels entsprechender Hefenährstoffe wie DAP, PVPP oder Nutristart zur Gärung gebracht werden, wobei man die Gärung mit synthetischen Reinzuchthefen oder entsprechenden Enzymen einleitet, damit sie schnell und sicher durchläuft. Allein die Wahl der Reinzuchthefe entscheidet dabei über den »fruchtigen« Stil des fertigen Weines.
Weil billig produzierte Trauben in der Regel mit dem Vollernter, also der Maschine, gelesen werden, braucht man, um die vielen faulen und beschädigten Mangel-Trauben nicht zur Katastrophe werden zu lassen, Schönungsmittel. Man »schönt« die Fehler des Lesegutes mit Kohlepräparaten und anderen Mitteln aus dem Most, immer unter Verlust an Aromastoffen und stofflicher Substanz. Um diesen Verlust wieder auszugleichen, kann man die Weine mittels zahlreicher Zusatzstoffe »korrigieren«. Zu Ihrer persönlichen Erbauung hier der Link zum aktuellen Katalog mit allen Zusatzstoffen des wichtigsten deutschen Önologie-Lieferanten.
Man muß es sich auf der Zunge zergehen lassen: Es ist den globalen Agrarchemie-Konzernen gelungen, aus den Schäden, die sie den Böden der Welt für viel Geld zugefügt haben, eine Wissenschaft zu generieren, an der sie als Reparaturabteilung erneut verdient: die moderne Önologie. Sie soll und muß im Keller richten, was draußen im Weinberg nicht möglich war.
Die Weine, die sie hervorbringt, dominieren den Weinmarkt weltweit, egal, ob sie 3,- Euro oder 200,- Euro kosten. Immer ist es die Önologie, die ihnen den Charakter verpaßt, der sie erfolgreich verkäuflich macht. Das schafft sie über wohldefinierte Klischees. Weit über 98% der Weltweinproduktion gehorchen präzise definierten Klischees, von Neurologen, Physiologen und Psychologen analysiert und formuliert. Weil sie genau wissen, daß man trinkt, was man schon kennt. Deshalb gibt es Markenwein: Da weiß man, was man hat. Deshalb riechen und schmecken die meisten Weine zwar nach Genre und Preisbereich unterschiedlich, immer aber wohlgeplant bekannt und gewohnt; sie entsprechen exakt den Klischees und Bedürfnissen ihrer jeweiligen Käuferschaft. Davon lebt die vermeintlich elitäre Londoner Weinbörse LivEx, die nur bekannte Nobelmarken aus wenigen weltbekannten Regionen als Investment auslobt, davon lebt der gesamte Nobel- und Edelwein-Markt, davon leben aber auch alle Discounter-, Getränkehändler- und Supermarktregale der Welt.
Dem stellen wir die Beschäftigung mit dem Boden entgegen. Nicht um Sie mit Boden-Fakten zu langweilen, sondern um Ihnen zu erläutern, warum unsere Weine anders riechen und schmecken, sich aber vor allem auch anders anfühlen im Mund. Sie stammen von Trauben, die auf lebendigen Böden wachsen. Das kam zu kurz in beiden Fernsehbeiträgen, es werden aber nicht unsere letzten sein ....



Und in Franken: